Glühen

Alle Glühverfahren führen, sofern sie unter Luftatmosphäre durchgeführt werden, zum Verzundern und/oder Entkohlen der Werkstücke. 

Die Prozesstemperatur, der Werkstoff und die Anforderungen an die Oberfläche nach der Wärmebehandlung bestimmen die Wahl der Prozessgase.

Werkstoff Eingesetzte Schutzgase

Unkritisches Verhalten hinsichtlich Entkohlung / Oxidation / Aufstickung

Stickstoff

Beseitigung Oberflächenoxide

Stickstoff, Wasserstoff (bis 100% Wasserstoff)

Kritisches Verhalten hinsichtlich Entkohlung

Stickstoff, Kohlenstoffspender

Kritisches Verhalten hinsichtlich Entkohlung und Oxidation

Stickstoff, Kohlenstoffspender

Kritisches Verhalten hinsichtlich Aufstickung

Argon (Wasserstoff)

Normalglühen / Normalisierungsglühen / Kornfeinung

Das Normalglühen findet vorzugsweise bei untereutektoiden Stählen Anwendung, deren Gefüge durch Fertigungsverfahren wie zum Beispiel Schmieden, Walzen, Gießen oder Schweißen negativ beeinflusst wurden.

Beim Normalglühen wird der Stahl bis knapp über die Umwandlungstemperatur erwärmt, sodass sich das Ferrit-Perlit-Gefüge in Austenit wandelt. Nachdem das Gefüge vollständig austenitisiert wurde, wird der Stahl langsam an Luft abgekühlt.

Da sich während dieser Wärmebehandlung bei der Umwandlung von Austenit in Ferrit die Körner neu bilden, tritt eine Kornfeinung ein. Daher wird das Normalglühen zum Beseitigen von ungleichmäßigem und grobem Gefüge angewendet.

Die Abkühlung nach dem Glühen muss langsam erfolgen. Bei zu schneller Abkühlung kann sich, insbesondere bei höher legierten Stählen, Martensit oder Zwischenstufengefüge bilden.

Merkmal Beschreibung
Temperaturen
  • Untereutektoide Stähle ca. 30° bis 50° C über Ac3
  • Übereutektoide Stähle ca. 30° bis 50° C über Ac1
Haltezeit

Der Ferrit muss vollständig und die Carbide müssen nahezu vollständig aufgelöst werden.

Eingesetzte Schutzgase
  • Stickstoff 
  • Wasserstoff
  • Argon
  • Kohlenwasserstoffe
  • Stickstoff-Methanol 
  • Endogas 
Gasversorgungen
  • Stickstoff- und Argon-Versorgung
  • Wasserstoff-Versorgung
  • Stickstoff-Methanol-Versorgung

Spannungsarmglühen

Spannungsarmglühen

Durch Spannungsarmglühen erfolgt der Abbau innerer Spannungen ohne Gefügeveränderungen. Gründe für Spannungen im Bauteil liegen beispielsweise 

  • in der Herstellung des Grundwerkstoffs
  • in der Kaltverformung oder 
  • in ungleichmäßigem Erwärmen und Abkühlen (beispielsweise durch Schweißen)
Merkmale Beschreibung
Temperaturen Unterhalb Ac1; sehr langsames Erwärmen und Abkühlen
Haltezeit 1 - 2 Stunden
Eingesetzte Schutzgase
  • Stickstoff
  • Argon
Gasversorgungen Stickstoff- und Argon-Versorgung 

Weichglühen / Glühen auf kugeligen Zementit (GKZ Glühen)

Weichglühen

Weichglühen wird angewendet, wenn eine hohe Umformbarkeit oder Spanbarkeit zur weiteren Bearbeitung erforderlich ist. 

Bei untereutektoiden Stählen wandelt sich der lamellare Zementit durch Diffusionsprozesse in die thermodynamisch günstigere, rundlichere Form um. Es bildet sich aus dem Streifenzementit des Perlits entsprechend Kugelzementit. 

GKZ Glühen (Glühen auf kugeligen Zementit) wird bei Stählen mit einem Kohlenstoffgehalt von > 0,8 % angewendet und häufig als Synonym für Weichglühen verwendet.

Durch Weichglühen wird die Umformbarkeit bei anschließenden Prozessen – wie zum Beispiel Walzen, Biegen oder Tiefziehen – aufgrund deutlich verringerter Kräfte wesentlich erleichtert. Die bessere Spanbarkeit erhöht die Standzeit der Werkzeuge.

Merkmale Beschreibung
Temperaturen
  • Untereutektoide Stähle dicht unterhalb Ac1
  • Übereutektoide Stähle Pendelglühen um Ac1
Haltezeit Bis zu 100 Stunden
Eingesetzte Schutzgase Stickstoff 
Gasversorgungen Stickstoff- und Argon-Versorgung

 

Rekristallisationsglühen / Erholungsglühen

Rekristallisationsglühen und Erholungsglühen

Durch Rekristallisationsglühen oder Erholungsglühen wird die Verfestigung in kaltverformten Stahl ohne wesentliche Umwandlungen im Gefüge beseitigt. Es entsteht wieder das Ausgangsgefüge als Vorbereitung für eine erneute Umformung.

Im Bereich der Erholung kommt es zunächst zu einer starken Rückbildung der physikalischen Eigenschaften, wie beispielsweise des elektrischen Widerstands, während die mechanischen Eigenschaften kaum geändert werden.

Im Bereich der Rekristallisation findet eine Kornneubildung statt, ausgehend von den am stärksten verformten Bereichen im Gefüge. Die sich nach dem Rekristallisationsglühen einstellenden mechanischen Eigenschaften eines Werkstoffs werden primär durch die Korngröße bestimmt. Es handelt sich um einen Diffusionsprozess, der temperatur- und zeitabhängig ist.

Um bei mehrstufigen Prozessen die Umformbarkeit des Werkstoffes zu erhalten, muss das Gefüge zwischen jedem Umformschritt rekristallisiert werden. Diese Verfahrensform wird dann auch als Zwischenglühen bezeichnet.

Der Effekt der Rekristallisation kann auch bereits während des Umformprozesses selbst genutzt werden, indem im Bereich der Rekristallisationstemperatur umgeformt wird. 

Merkmale Beschreibung
Temperaturen

Unterhalb Ac1 und oberhalb der Rekristallisationstemperatur (Anhaltswert: 04*TS [K])

Haltezeit Temperaturabhängig; Minuten bis mehrere Stunden
Eingesetzte Schutzgase Stickstoff
Gasversorgungen Stickstoff- und Argon-Versorgung

Diffusionsglühen

Diffusionsglühen

Beim Erstarren von Stählen mit hohen Legierungskonzentrationen kann es dazu kommen, dass sich die Legierungselemente nicht homogen im Gefüge bzw. in den einzelnen Kristallen verteilen. Solche Konzentrationsunterschiede innerhalb der einzelnen Kristalle werden auch Kristallseigerungen oder Seigerungen genannt und durch Diffusionsglühen ausgeglichen.

Da Seigerungen bereits während der Erstarrung von Stahl entstehen, werden diese in der Regel direkt im Stahlwerk am Gussblock beseitigt. Zumal das Verfahren aufgrund der hohen Temperaturen und langen Glühzeiten anspruchsvoll und sehr energieintensiv ist. Anschließend erfolgt ein Normalglühen zur Kornfeinung.

Merkmale Beschreibung
Temperaturen 1.050 – 1.300°C
Haltezeit bis zu 50 Stunden
Eingesetzte Schutzgase Stickstoff 
Gasversorgungen Stickstoff- und Argon-Versorgung

Grobkornglühen / Hochglühen

Grobkornglühen und Hochglühen

Das Grobkornglühen ist ein Normalglühen bei überhöhter Temperatur, zur Erreichung eines gröberen Korns (daher auch die Bezeichnung Hochglühen). Es wird meist zur Erhöhung der Kriechfestigkeit oder zur Verbesserung der Spanbarkeit bei kohlenstoffarmen Stählen angewendet, die sonst zum Schmieren neigen.

Nach dem Grobkornglühen erfolgt die spanende Bearbeitung, im Anschluss wird im Allgemeinen wieder eine Kornfeinung durch Normalglühen herbeigeführt.

Merkmale Beschreibung
Temperaturen Oberhalb Ac3
Haltezeit Mehrere Stunden
Eingesetzte Schutzgase Stickstoff 
Gasversorgungen Stickstoff- und Argon-Versorgung

 

Stabilisierungsglühen

Stabilisierungsglühen

Stabilisierungsglühen wird nach dem Schweißen angewendet, um Schweißverbindungen aus hochlegierten Stählen mit erhöhten Kohlenstoffgehalten wirkungsvoll vor Kornzerfall durch interkristalline Korrosion zu schützen. Die durch das Schweißen verursachten Chromkarbide an den Korngrenzen werden wieder in Lösung gebracht.

Sind Legierungselemente wie Titan, Niob oder Tantal im Gefüge vorhanden, kann das Glühgut langsam im Ofen abgekühlt werden. Dies stellt für verzugsemfindliche Bauteilgeometrien oftmals die schonendere Variante dar. 

In Abhängigkeit von den Abkühlbedingungen und der Bauteilgeometrie ist es möglich, anschließend ein Spannungsarmglühen durchzuführen, um etwaige, durch schroffe Abkühlung verursachte, innere Spannungen abzubauen.

Merkmale Beschreibung
Temperaturen 850°C bis 1.050°C, zügige Abkühlung
Haltezeit Mehrere Stunden
Eingesetzte Schutzgase Stickstoff 
Gasversorgungen Stickstoff- und Argon-Versorgung

Lösungsglühen / Homogenisieren

Aushärtbare Legierungsysteme werden einem Lösungsglühen unterzogen, in welchem die für die Ausscheidungshärtung zuständigen Legierungselemente vollständig in Lösung gehen. Nach dem Abschrecken bilden sich, in Abhängigkeit der gewählten Auslagerungs-Parameter (Kalt- und Warmauslagern,) die Ausscheidungen im Werkstoff, die eine Härtesteigerung zur Folge haben. 

Das alleinige Lösungsglühen (oder Homogenisieren) ohne anschließende Ausscheidungshärtung wird häufig bei austenitischen Stählen angewendet. Insbesondere im Verlauf von Verformungsprozessen ersetzt das Lösungsglühen das Rekristallisationsglühen, da es zu einer Verbesserung der Korrosionsbeständigkeit nicht-rostender Stähle durch gleichmäßige Verteilung der Legierungselemente führt. 

Die Parameter und die eingesetzten Schutzgase hängen vom Legierungssystem und den späteren Einsatzbedingungen ab. 

Der Einsatz technischer Gase ist für die meisten Wärmebehandlungen unerlässlich. Die Wahl der Gaskomponenten in Art und Menge wird von vielen Faktoren beeinflusst. Um für die jeweilige Aufgabenstellung das technologisch und wirtschaftlich beste Gasgemisch zu finden, betrachten die Wärmebehandlungs-Experten von Air Liquide im Rahmen eines Ofen-Audits alle Parameter und implementieren gemeinsam mit Ihnen die beste Lösung.